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Kurztext: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hielt der elektrische Strom erst mit einiger Verzögerung Einzug in die ländlichen Regionen des Havellandes. Getrieben vom Wunsch der Dorfbevölkerung nach elektrischer Beleuchtung und moderner Maschinentechnik veränderte die Elektrifizierung schließlich nicht nur die ländliche Arbeitswelt sondern auch die Lebensgewohnheiten der Dorfbevölkerung nachhaltig.
Eine Welt gerät unter Strom (Teil 3)
Wie im frühen 20. Jahrhundert der elektrische Strom den ländlichen Raum eroberte
von Hans-Jürgen Wodtke
Montagebrigade der Firma Sachsenwerk, Licht und Aktiengesellschaft, Installationsbüro Neu-Ruppin. Das Unternehmen arbeitete im Auftrag der Brandenburgischen Kreiselektrizitätswerke GmbH, unter anderem auch in Garlitz. Aufnahme von 1913. Sammlung Wodtke Für uns alle ist die ungehinderte und problemlose Nutzung der Elektrizität eine Selbstverständlichkeit geworden. Und dort, wo keine netzgebundene Elektroenergieversorgung zur Verfügung steht, helfen Netzersatzgeräte, sogenannte Notstromaggregate oder leistungsfähige Batterien, diese Versorgungslücke zu überbrücken. Doch vor rund 100 Jahren war die ungehinderte Nutzbarkeit des elektrischen Stromes, vor allem im ländlichen Raum, alles andere als normal. Dennoch ist es beachtlich, welche Entwicklung die Elektrotechnik, trotz 1.Weltkrieg und kurz darauf folgender Inflation in unserer Region genommen hat.
Die Elektrifizierung der Städte lang Anfangs in kommunaler Verantwortung
Im städtischen Raum, so wie in Rathenow, lief die Elektrifizierung in der Regel 10 bis 25 Jahre früher als auf dem Lande an. In den Städten war es anfangs zumeist die dort ansässige klein- und mittelständische Industrie, die sich maßgeblich für den Aufbau einer Elektroversorgung an ihrem Standort stark machte. Doch recht schnell erkannten die kommunalen Entscheidungsträger, welche ökonomischen aber auch politischen Möglichkeiten in der Elektrifizierung ihrer Territorien und in der Vermarktung der Elektroenergie steckten. So gingen die ersten Kommunalträger relativ zügig dazu über, die elektrotechnische Versorgung ihrer Region selbst in die Hand zu nehmen.
Aufbau von Überlandwerken und Elektrifizierung des Havellandes
Ab Mitte des Jahres 1912 begann letztendlich die überaus erfolgreiche elektrotechnische Erschließung des Westhavellandes. Zu diesem Zweck gründeten die benachbarten Landkreise Ruppin, sowie Ost- und Westhavelland gemeinsam die kommunale Überlandzentrale „Brandenburgische Kreis-Elektrizitätswerke GmbH“ (BKEW). Im Kreis Jerichow II erfolgte der Start zur ländlichen Elektrifizierung, sicherlich auch bedingt durch den 1. Weltkrieg, erst im Jahre 1919. Ab dem 1. April 1921 ging auch hier die Betriebsführung des als „Überlandwerk Jerichow “ benannten Unternehmens in die kommunale Regie der Jerichower Landkreise über.
Wie begehrt der elektrische Strom auf den Dörfern war und wie sehr die Dorfbewohner den Tag des Anschlusses ihres Ortes an das öffentliche Energieversorgungsnetz herbeisehnten, belegen eindrucksvoll einige Ortschroniken. Hier finden wir Hinweise, wie die Menschen das außergewöhnliche Ereignis mit einem „Lichtfest“ feierten. Nur zu verständlich, denn in der ersten Phase der ländlichen Elektrifizierung spielte die elektrische Beleuchtung eine überaus wichtige Rolle. Das „elektrische Licht“ wurde damit zum Motor für die Elektrifizierung auf dem Lande. Nicht zuletzt stellte die neue Beleuchtungsmöglichkeit alles bis dahin Gekannte in den „Schatten“ und veränderte so rasch die angestammten Lebensgewohnheiten der Menschen recht nachhaltig.
Tarife-Dschungel
Auf diese Bedürfnisse reagierten die Elektroenergieanbieter in einer uns heute schon recht dreist anmutenden Art, indem sie einen stark unterschiedlichen Abrechnungstarif für die Nutzung von Licht- und Kraftstrom schafften. So hieß es in der Tarifstruktur des hier tätigen BKEW: „die zu Beleuchtungszwecken angegebene elektrische Energie wird mit 45 Pfennig pro Kilowattstunde (etwa 1,50 Euro) berechnet. In Anlagen, bei denen die gesamte Beleuchtungsanlage durchschnittlich jährlich mehr als 500 Stunden gebrannt hat, wird die jährliche Mehrentnahme nur mit 20 Pfennig pro Kilowattstunde berechnet.“ 1) Abgesehen von dem ohnehin damals sehr hohen Kilowattstunden-Preis heißt es weiter: “die zu Kraft- und zu anderen als Beleuchtungszwecken abgegebene Energiemenge wird mit 18 Pfennig pro Kilowattstunde berechnet.“ 1) Auch für diese Tarifform bot das BKEW unter bestimmten Bedingungen Benutzerrabatte an. Ausdrücklich untersagt wurde dem Nutzer deshalb auch, wie man sich gut vorstellen kann, der Betrieb von Glühlampen im sogenannten Kraftstromnetz. Obwohl dieses technisch kein Problem gewesen wäre und heute gängige Praxis ist, wurden bei Zuwiderhandlungen saftige Strafen angedroht. Dennoch ließen sich die Menschen trotz dieser drakonischen Vorgaben nicht davon abhalten, mit Freude den Schritt ins Elektrozeitalter zu gehen. Denn anders als in den Städten, wo vor rund 100 Jahren das „elektrische“ Licht mit dem zu jener Zeit noch preiswerteren Gaslicht in Konkurrenz stand, hatte die Landbevölkerung keine gleichwertigen Alternativen. Und so wurde, anfangs angetrieben durch den Wunsch nach elektrischer Beleuchtung, die Elektrifizierung des gesamten Westhavellandes bis auf wenige Regionen, bis zum Ende der 1920er Jahre realisiert. Zu den ersten Dörfern die „elektrisch“ versorgt wurden, gehörte Garlitz. Bereits 1913, und damit nur neun Jahre nach Rathenow, erfolgte der Anschluss des im Luch gelegenen Dorfes an das Netz des BKEW. Für den Kreis Jerichow II liegen leider nicht so detaillierte Beschreibungen vor. Es ist aber bekannt, dass die im nördlichen Teil des Kreises gelegenen Dörfer Nitzahn, Böhne, Zollchow und Schmetzdorf im Jahre 1921 an das kommunale Netz der Landkreise Jerichow angeschlossen wurden. Noch waren die Energieversorungsnetze (Überlandnetze) des Westhavellandes und Jerichow II streng getrennt. Das sollte auch die nächsten drei Jahrzehnte noch so bleiben. Damit bildete die Havel im doppelten Sinne eine „Stromgrenze“.
Elektromotor wird zur neuen Kraftmaschine in der Landwirtschaft
Zahlreiche neue Produktentwicklungen für die Nutzung von Elektroenergie trieben den Ausbau der Netze und den Wunsch der Landbewohner nach der immer breiteren Anwendung der modernen Energie- und Kraftquelle voran. So findet der Elektromotor, als neue Kraftmaschine, schnell bei all denjenigen Landwirten eine breite Resonanz, die sich diesen leisten konnten. In einem 1917 erschienenen Fachbuch für die Landwirtschaft heißt es hierzu: „die Einführung der Elektrizität erwies sich in der Tat in der Landwirtschaft als ein volkswirtschaftlich äußerst wichtiger Fortschritt, und es besteht wohl heute kein Zweifel mehr darüber, dass der Elektromotor infolge der Vielseitigkeit seiner Anwendungsarten sowie seines einzigartigen Anpassungsvermögens den Anforderungen und Bedürfnissen landwirtschaftlicher Betriebe am besten von allen [bekannten Antriebsarten][…] entspricht. Die Praxis hat auch schon den Beweis dafür erbracht, dass in Gegenden mit Elektrizitätsversorgung die Leutenot auf dem Lande bedeutend gemildert ist, weil einmal durch den Ersatz menschlicher Arbeitskräfte infolge maschinellen Betriebes Leute erspart werden, sodann aber auch Knechte und Mägde in Bauernhöfen mit bequemen maschinellen Betrieben sesshafter sind. Dies kommt ganz besonders den kleinen und mittleren Wirtschaften zugute, welche auf heimisches Personal angewiesen sind.“ 2)
Mit der überall zum Ende des 1. Weltkrieges spürbaren Personalnot spricht der Autor, Ludwig Hammel, in seinem Buch neben den technischen Lobpreisungen ein gravierendes Problem an. Besonders die Landwirtschaft hatte unter dem hohen Blutzoll des Krieges zu leiden und kam damit ihrer Aufgabe nach Versorgung der hungernden Bevölkerung im Reich nicht mehr nach. Eine schlimme Hungersnot mit vielen toten Zivilisten war die Folge. Ohnehin hatten in industriellen entwickelten Gebieten in der, wie bei uns in der optischen Industrie, viele Arbeitskräfte gebraucht wurden, zahlreiche Mägde und Knechte bereits vor dem Kriegsbeginn ihre einstigen Arbeitgeber auf dem Lande verlassen.
Ein sogenannter Stromübergabepunkt aus der Zeit der frühen Elektrifizierung (links)
Eine heutige Kompakttrafostation in Rathenow, hier zur Abwendung von Vandalismus optisch nett gestaltet. (mitte), Foto Ohlwein
Die Trafostation Wilhelminenhof, ging nach beinahe 100 Jahren, außer Betrieb. Sie gilt als eine besonders gelungene Verknüpfung der Rathenower Ziegelindustrie und aufstrebenden Elektrifizierung in unserer Region. (rechts) alle Sammlung Wodtke
Technische Kompensation fehlender Arbeitskraft
Dieses Defizit an Arbeitskräften in der Landwirtschaft wollte man vor rund 100 Jahren mit Hilfe von Technik kompensieren. Dazu wurde ein transportabler und möglichst universell einsetzbarer Elektromotor als allseitiger Antrieb für viele Belange auf den Höfen propagiert. Doch die Anschaffung eines derartigen Antriebes zum Dreschen, Futterschneiden, Buttern, Schroten und als Antrieb für die Kreissäge überforderte viele der kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betriebe finanziell. Deshalb entwickelten Hersteller und Händler sowie Landwirtschaftsbanken bald geeignete Finanzierungskonzepte für die Landwirte zur Anschaffung von Elektroantrieben und Arbeitsmaschinen. Diese Maßnahme beförderte die weitere stürmische Entwicklung der Elektrifizierung auf dem Lande bis zur Zeit der Inflation. Erfreulicherweise konnte der allgemeine wirtschaftliche Niedergang dem kommunalen BKEW aber recht wenig anhaben. So setzte das Energieunternehmen nach dem Ende des Geldverfalls, ab Mitte der 1920er Jahre, seinen wirtschaftlichen Siegeszug fort. In der Folge entwickelte sich die Elektrifizierungsrate in den beiden havelländischen Kreisen so außergewöhnlich gut, dass Fachleute von den elektrotechnisch-bestversorgtesten Kreisen des Deutschen Reiches sprachen. Dennoch, trotz eigentlich besten Voraussetzungen in der Region musste Schönholz noch bis zum 18. Dezember 1952, Stalins 74. Geburtstag, warten bis auch hier im Ort, Dank dem allgegenwertigen und weisen Generalissimus, die Lichter angingen. Nur gut, könnte man da fast süffisant resümieren, dass das damals endlich geklappt hatte, denn 77 Tage später war Stalin tot.
Quellen:
1) B.K.E.W, „Anmeldung zum Anschluss an das Niederspannungsnetz“, 1913
2) Ludwig Hammel, „Was der Landwirt von der Elektrotechnik wissen muss“, Akademisch-Technischer Verlag, Frankfurt /Main 1917
BU1. Montagebrigade der Firma Sachsenwerk, Licht und Aktiengesellschaft, Installationsbüro Neu-Ruppin. Das Unternehmen arbeitete im Auftrag der Brandenburgischen Kreiselektrizitätswerke GmbH, unter anderem auch in Garlitz. Aufnahme von 1913.
BU2. Die Trafostation Wilhelminenhof ging vor wenigen Wochen, nach beinahe 100 Jahren, außer Betrieb. Sie gilt als eine besonders gelungene Verknüpfung der Rathenower Ziegelindustrie und aufstrebenden Elektrifizierung in unserer Region. Fotos: Archiv Wodtke
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 21. Jan. 2018 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow