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Im frühen 19. Jahrhundert fuhr das erste Dampfschiff „Kurier“ die Havel entlang – ein technischer Meilenstein für die deutsche Flussschifffahrt. Mit dampfbetriebener Antriebstechnik von 14 PS verkürzte es die Transportzeit drastisch, löste Begeisterung bei der Bevölkerung aus und leitete den Beginn eines regelmäßigen Personen- und Warenverkehrs auf Havel, Elbe und darüber hinaus ein.
Vor über 200 Jahren befuhr das erste Dampfschiff die Havel
Der Beginn einer neuen Ära in der deutschen Flussschifffahrt
von Hans- Jürgen Wodtke
Das Dampfschiff "Prinzessin Charlotte von Preußen" wurde 1816 in Pichelsdorf bei Spandau von dem schottischen Ingenieur John Barnett Humphreys jr. konstruiert und gebaut. Im Oktober 1816 machte der Dampfer seine erste planmäßige Fahrt auf der Havel. Collage Wodtke
Im April 1817 alarmierte eine Meldung die Bewohner des Havellandes und ließ sie in Scharen zur Havel strömen. Angekündigt war die Fahrt des ersten Dampfschiffes auf dem Fluss. Deren Reise führte von Berlin über Brandenburg an der Havel, Rathenow, Havelberg und dann weiter auf der Elbe über Wittenberge bis nach Hamburg. Rund drei Tage dauerte damals die Reise. Wann genau dieser denkwürdige Tag war, ist in der Geschichtsschreibung etwas umstritten. Doch die meisten Quellen weisen darauf hin, dass es der 5. April 1817 war, an dem der hölzerne Seitenranddampfer „Kurier“ erstmals auf die Fahrt nach Hamburg ging. Einige wenige andere Quellen, so auch die Böhner Geschichtsschreibung, verzeichnen den 16. April 1817 als Datum für die erste Fernfahrt des Dampfschiffes. Warum es zu diesen unterschiedlichen Zeitangaben kommt, lässt sich heute nicht zweifelsfrei klären. Ich denke aber, dass man bei einem Ereignis das inzwischen über 200 Jahre zurückliegt, ruhig etwas Toleranz im Bezug auf das Datum walten lassen kann. Denn in jedem Fall war diese erste Fahrt des kombinierten Fracht- und Passagierschiffes „Kurier“ im Fernverkehr auf der Havel und der Elbe ein technischer Meilenstein von besonderer Bedeutung. Zumal geschichtlich belegt ist, dass das erste weltweit gebaute Dampfschiff erst zehn Jahre zuvor in den USA seine Jungfernfahrt erfolgreich absolvierte.
Schiffbau und Technische Ausstattung
Rückblickend ist es schon erstaunlich, dass sich die revolutionäre Idee der Dampfschifffahrt ihren Weg, trotz der damals politisch unruhigen Zeiten in Europa, in so kurzer Zeit bis in die preußische Landeshauptstadt bahnte. Allerdings darf man bei aller Begeisterung nicht vergessen, dass es kein deutsches Unternehmen war, welches das erste Dampfschiff in Deutschland baute. Sondern es waren die Engländer John Barnett Humphreys und dessen Sohn, die vom preußischen Staat am 12. Oktober 1815 ein Privileg auf die Dampfschifffahrt in Preußen erhielten. Auf Basis dieser Konzession richteten sie in Pichelsdorf, bei der damals noch eigenständigen Stadt Spandau, eine Werft an der Havel ein und bauten dort das erste Dampfschiff auf deutschem Boden. Bereits am 14. September 1816 lief dieses, auf den Namen „Prinzessin Charlotte von Preußen“ getaufte Schiff, vom Stapel. Es war ein sogenannter Mittelraddampfer, mit einem innenliegenden Schaufelrad. Als Antrieb benutzten die Humphreys, wie auch für ihre weiteren Schiffe, eine aus England importierte Dampfmaschine von „Boulton & Watt“ mit einer Leistung von 14 PS. Nach einem halben Jahr, am 15. März 1817, erfolgte für die „Kurier“ in der Pichelsdorfer Werft der Stapellauf. Den Bau des dritten Dampfschiffes, die „Stadt Magdeburg“, schlossen die Schiffbauer ein gutes halbes Jahr später ab.
Großes Bevölkerungsinteresse
Berichtet wird, dass der Bau der „Kurier“ bei der Bevölkerung in Berlin und den umliegenden Orten für ein großes Interesse gesorgt hatte. Dieses führte zu einem gewaltigen Besucherandrang in der Schiffswerft und brachte die Arbeiten dort fast zum Erliegen. In der Folge sahen sich die Humphreys gezwungen, wollten sie die Fertigstellungstermine für ihre Schiffe nicht gefährden, ihre Werft für jeglichen Besucherverkehr zu schließen.
Technische Details
Das hölzerne Dampfschiff „Kurier“ hatte eine Länge von 37,50 m und eine Breite von 3,50m. Es war für eine maximale Ladungsaufnahme von 35 t konzipiert. An Bord befanden sich 14. Kajütplätze der 1. Klasse, die restlichen Passagiere mussten mit dem Oberdeck vorlieb nehmen. In der Böhner Geschichtsschreibung heißt es weiter: „Um das Schiff herum befand sich eine Galerie. Über diese und das übrige Schiff war ein Verdeck gespannt. Mitten auf dem Schiffe waren die hochaufragende Dampfröhre und Schornstein montiert. Im Schiffsinnern befanden sich für den Kapitän und die Mannschaft Stuben und eine Küche.“ Anders noch als bei dem ersten Schiff aus der Pichelsdorfer Werft, erhielt die „Kurier“ aus technischen Gründen und wegen der besseren Wasserführung eiserne Seitenantriebsräder. Angetrieben wurden die Räder von einer 14 PS Niederdruck – Balander – Dampfmaschine. Damit kam das Schiff auf eine Geschwindigkeit von etwa 7,5 km/h. Diese „ungemeine Schnelle“, wie damals die Presse berichtete, wurden mit der gewaltigen Menge von 250 Kilogramm Kohlen pro Fahrstunde erkauft. Der hohe Brennstoffverbrauch ging natürlich sehr zu Lasten der ohnehin recht geringen zulässigen Nutzlast und damit Rentabilität des Schiffes.
Blick um 1930 vom Rathenower Weinberg auf einen Raddampfer-Schleppzug mit Schleppkähnen auf der Havel. Quelle:" Rathenow in alten Ansichten"
Entwicklung der Dampfschifffahrt auf Havel und Elbe
Dieser Tatsache war es auch zu verdanken, dass sich die vielen an der Havel ansässigen Schiffer erst mal auch keine großen Gedanken über die mögliche neue Konkurrenz machten. Wenn sie auch niemals mit der dieser Geschwindigkeit und damit kurzen Transportzeit Schritt halten konnten. Denn zu dieser Zeit wurden die Kähne auf der Havel bestenfalls durch die Flussströmung oder den Wind kraftsparend vorwärtsbewegt. Allzu oft wurden diese aber durch die Besatzung Gestakt oder vom Flussufer durch Muskelkraft treidelnd zum Ziel bewegt. Eine kräftezehrende und vor allem zeitintensive Vorwärtsbewegung von Waren. Damit erschien die Dampfschifffahrt nach der Lockerung der Zollschranke und der somit stetig wachsenden Handelstätigkeit für Unternehmer damals ein interessantes Geschäftsfeld zu werden. Der Kenner der Havelschifffahrt, Hans- Joachim Bünger, schreibt dazu 1991 in einem Artikel im „Havelberger Heimatheft“: „Nach der erfolgreichen Fahrt der „Kurier“, die die Fahrzeit von oft Wochen auf wenige Tage verkürzte, entwickelte sich bald ein regelrechter Linienverkehr. Nach und nach kamen mehr Schiffe hinzu, auch in Richtung Magdeburg. Havelberg wurde bald „Umsteigehafen“ in Richtung Tangermünde – Magdeburg – bzw. Wittenberge – Hamburg und nach Berlin. Anfangs waren noch technische und vor allem wirtschaftliche Schwierigkeiten zu überwinden. So glichen die Fahrten in den ersten Jahren der Dampfschifffahrt eher „Abenteuerfahrten“, bei denen das Zu- bzw. Absteigen mit Fischerkähnen erfolgte. Doch schon bald entstanden Anlegestege in den Orten, die keine „Ablage“ hatten. Wenn auch mit Eröffnung der Bahnlinie Berlin – Hamburg im Dezember 1846 der Personenverkehr auf dieser Linie eingestellt wurde, nahm in den folgenden Jahrzehnten der Reiseverkehr mit den Dampfschiffen auf anderen Strecken stetig zu. Denn die wenigen auf schlechten, zu meist unbefestigten Landstraßen verkehrenden Postkutschen waren überfüllt, und nicht jeder verfügte über eigene Pferdegespanne.“
Ausbau und Bedeutung der Schifffahrt im 19. Jahrhundert
Trotz der etwas später einsetzenden rasanten Entwicklung des deutschen Eisenbahnwesens, dem Wirtschaftszweig der im 19. Jahrhundert zur Konjunktur – und Innovationslokomotive in Deutschland wurde, wuchs auch die Bedeutung der Schifffahrt auf der Havel, Spree und Elbe. Umfangreiche durch den preußischen Staat vorangetriebene wasserbauliche Maßnahmen schafften in dieser Zeit wesentlich bessere Bedingungen für die Flussschifffahrt auf Flüssen und Kanälen. Für die Jahre 1895 und 1896 wird von einer dramatischen Zunahme zu schleusender Schiffe in Rathenow berichtet. Das führte dann mitunter zu tagelangen Wartezeiten an der Stadtschleuse. Diese unbefriedigende Situation konnte erst mit der Inbetriebnahme der wesentlich leistungsfähigeren neuen Schleuse im April 1901 entschärft werden.
- Quellen:
- „Böhner Chronik“ aus den frühen 1990er Jahren
- "Die Dampfschifffahrt auf Havel und Spree“ von Joachim Wind, SUTTON-Verlag, 2014
- „Weiße Dampfer auf der Unterhavel“ von Hans- Joachim Bürger, Havelberger Heimathefte 11/1991
- „Eine Pichelsdorfer Werft stellte vor 180 Jahren das erste Dampfschiff her“ von Dr. Immo Sievers, Berliner Zeitung, 17.09.1996
- Das erste Dampfschiff fuhr 1816 auf der Havel“ von H.-Joachim Uhlemann, Berliner Zeitung 08.01.1994
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 9. April 2017 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow
Hintergrundwissen:
Für den 1787 in London geborenen John B. Humphreys entwickelte sich das neue Transportgeschäft auf den preußischen Binnenwasserstraßen nach anfänglichen Erfolgen nicht zum langfristigen Triumph. Diesen Niedergang konnte auch der Umzug aus Pichelsdorf nach Potsdam zum heutigen Schiffbauerdamm nicht abwenden. Die Ursachen hierfür waren vielschichtig und sind zum Teil auch in der „hohen Politik“ der damaligen Zeit zu suchen. Obwohl zum Ehrenbürger Potsdams ernannt, verließ er Preußen, zog wieder nach England und wurde dort ein anerkannter Ingenieur und Schiffbauer. Im Auftrag einer britischen Gesellschaft ging er 1833 nach Brasilien. Hier verstarb er 1858 als erfolgreicher Techniker und Unternehmer.