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Kurztext: Ab 1847 prägte die Dampfmaschine Rathenow und Umgebung. Emil Busch stellte die erste dieser Maschinen in seinem Optikindustrie auf, weitere Unternehmen wie Dampfmühle und Ziegelei folgten. Die Dampfkraft revolutionierten die Wirtschaft und den Arbeitsalltag, sorgte für eine stürmische industrielle Entwicklung und machte Rathenow zu einem Zentrum technischer Innovationen in der Havelregion. Historische Schornsteine bzw. deren Artefakte erinnern noch heute an die technischen Giganten von einst.
Ansicht des Betriebsgeländes der Emil Busch AG, Optische Industrieanstalt in Rathenow. Hier wurde Mitte des 19. Jahrhunderts die erste Dampfmaschine in Rathenow in Betrieb genommen. Sammlung: Wolfram Bleis
Die Dampfmaschine erobert unsere Region
Spionage und Verrat verhalfen Preußen zur ersten eigenen Dampfmaschine
von Hans- Jürgen Wodtke
Als ab Mitte der 1840er Jahren die ersten Dampfmaschinen in Rathenow und in der Böhner Gemarkung aufgestellt wurden, waren das spektakuläre Ereignisse mit weitreichenden Folgen für die Region. In England, dem Ursprungsland der Dampfmaschine, hatte diese Erfindung bereits die industrielle Revolution mit all ihren wirtschaftlichen Vorteilen, aber auch vielfältigen Nachteilen, für die Menschen und Umwelt, eingeleitet.
James Watt, der vermeintliche Erfinder der Dampfmaschine
Als Erfinder der Dampfmaschine wird oft der in Schottland geborene James Watt genannt. Das ist aber nicht korrekt. Vielmehr hat er die vom Engländer Thomas Newcomen speziell für die Wasserhebung in englischen Bergwerken 1712 konstruiert atmosphärische Dampfmaschine entscheidend weiterentwickelt. Für seine 1769 patentierte Niederdruckdampfmaschine erhielt Watt endlich 1777 den ersten Auftrag zur Lieferung einer Dampfmaschine nach London. Lange hatten er und sein Partner Boulton auf diesen Augenblick gewartet. Doch nun sorgt ihr ärgster Konkurrent bei einem Probelauf vor den Augen der Auftraggeber für die Zerstörung der Maschine und damit für ein riesen Desaster. Trotz des Misserfolges machte die Nachricht von Watts großartiger Erfindung die Runde und erreicht auch das ferne Preußen und seinen König Friedrich II.
Preußische Spionage führte zur ersten deutschen Dampfmaschine
Nach eingehender Prüfung entschloss man sich in Preußen für die Anschaffung der neuen englischen Kraftmaschine als Antrieb für die Wasserpumpen in den eigenen Bergwerken. 1778 kam es deshalb zum Kontakt zwischen preußischen Gesandten und James Watt. Allerdings scheitern die Verhandlungen, weil dieser ein 14-jähriges Liefermonopol zur Bedingung machte. Das war für die Preußen unannehmbar und sie entschlossen sich zur Herstellung einer eigenen Dampfmaschinen Watt’scher Bauart. Das nötige Wissen hierzu wollten sie sich durch Spionage aus der Fertigungsstätte von Boulton & Watt beschaffen. Sie schicken daraufhin zwei Spione nach England. Diese erspähten dort für den Nachbau wichtige Daten. Jedoch stellt sich wenig später schnell heraus, dass man an Hand der Pläne nicht in der Lage war, eine funktionsfähige Dampfmaschine zu bauen. Deshalb warben erneut nach England entsandte Spione einen erfahrenen Mechaniker aus Watts Dampfmaschinenfertigung ab. Mit Hilfe seines Spezialwissens gelang es schließlich, den preußischen Technikern und Ingenieuren die erste auf deutschen Boden gebaute Dampfmaschine Watt’scher Bauart herzustellen. Diese pumpte dann am 23. August 1785 erstmals Wasser aus einer Mine bei Hettstedt.
Aktuelle Forschungsergebnisse aus dem Landesarchiv Sachsen-Anhalt in Wernigerode belegen, dass kein geringerer als Friedrich II. den Auftrag zur Industriespionage gab, diese finanziell absicherte und den eklatanten Patentmissbrauch anschließend deckte.
Watt hatte nach der missglückten ersten öffentlichen Präsentation seiner Dampfmaschine in London dennoch Glück, weil auch die in Not geratenen englischen Bergwerksbesitzer auf ihn aufmerksam wurden. Zahlreiche Bergwerke standen damals vor dem Aus bzw. waren bereits stillgelegt, denn die alten Newcomen’schen Dampfmaschinen konnten die Wasserhaltung der Schächte aus immer größeren Tiefen nicht mehr gewährleisten. Watts Dampfmaschine löste dieses Problem mit Bravour und benötigte dabei noch wesentlich weniger hochwertige und teure Kohle. Aber der endgültige finanzielle Durchbruch sollte für Watt und seinen Partner erst mit der Entwicklung des dampfbetriebenen Antriebes für Web- und Spinnmaschinen kommen. Doch dazu benötigte man eine Einrichtung, die die dampfmaschinentypische Hub- in eine maschinenkonforme Drehbewegung umwandelt. Zu diesem Zweck ersann das Entwicklerteam um James Watt 1781 das Planetengetriebe, eine weitere geniale Erfindung, die dann für den endgültigen Durchbruch der Dampfkraft sorgte.
Auswirkungen der Dampfmaschine auf Wirtschaft und Gesellschaft
Watt‘s Maschinenkraft veränderte allmählich ganz England, dann später die ganze Welt und lancierte zum Motor einer neuen Epoche, der industriellen Revolution. Muskelkraft wurde jetzt durch Maschinenkraft ersetzt. Doch damit verloren immer mehr Menschen ihre Arbeit. In der Folge griff bittere Armut um sich und die Wut über die neuen Entwicklungen nahm bei den Menschen im ganzen Land stetig zu. Es kam zu den weltweit ersten Massenarbeitsniederlegungen. Für die, die ihre Arbeit behielten, bestimmen jetzt die Maschinen den Takt ihres Arbeitslebens. Die Fabrikbesitzer verlangten nach Maschinen mit immer höherer Leistung, die aber Watts Maschine nicht mehr bereitstellen konnte. So wurde die Niederdruckdampfmaschine von jungen ehrgeizigen Ingenieuren zur technisch schwer beherrschbaren Hochdruckdampfmaschinen weiterentwickelt. Da Watt sein Patent abgelaufen war, konnte er dem Treiben nur zusehen. Sein Mahnen ging nur zu oft in der Gier nach immer höheren Leistungen und noch mehr Profit ungehört unter. So kam es in der Zeit von 1800 bis 1870 in England zu 1600 Kesselexplosionen, bei denen über 5000 Menschen ihr Leben verloren. Dennoch war der Hochdruckdampf im Wirtschaftsleben nicht mehr aufzuhalten.
Einführung der Dampfmaschine in Rathenow und Umgebung
1817 hatte erstmals ein Dampfschiff unsere Region auf der Havel passiert. Daraus entstand ein regelmäßiger Linienverkehr mit Dampfschiffen auf Havel und Elbe zwischen Berlin und Hamburg. Bis zur Einführung der Dampfmaschine in unseren hiesigen Betrieben sollten noch fast 30 Jahre vergehen. In diesen drei Jahrzehnten fanden sich die ersten deutschen Unternehmen, die sich mit der Herstellung von Dampfmaschinen zu befassen begannen. 1847 schaffte Emil Busch als erstes Unternehmen in der Region, eine Dampfmaschine für seinen Optikbetrieb an. In der Textsammlung von Erika Gutjahr heißt es hierzu: „Als am 26. August 1847 per Lastkahn die erste Dampfmaschine für die Firma Busch eintraf, säumten unsere Bewohner die Gehwege der Berliner Straße. Das technische Wunder erhielt Girlandenschmuck, wie es sonst nur Kirchenglocken geschah, und wurde so von der Anlegestelle durch die Berliner Straße zur Firma Busch gezogen.“
Am 7. September 1848 beging Carl Friedrich Hübener das Richtefest für die Dampf-Mahl- und Ölmühle von auf dem Grundstück vor dem Haveltor. Laut Erika Gutjahr eröffnete er seine Dampfmühle am 1. Dezember 1849. In den Folgejahren wurde die Dampfmühle ständig ausgebaut und erweitert, sodass 1889 der Bau eines neuen, 36m hohen Schornsteines für die Dampfmaschine notwendig wurde. Offensichtlich handelt es sich hier um den Schornstein, der erst in der frühen 1990er Jahren abgetragen wurde.
Weitere Dampfmaschinen kamen in den 1840er bzw. 1850er Jahren in dem Rathenower Unternehmen Ölmüllert Hesse mit Sitz in der Havelstraße, bei der Optischen Industrieanstalt Schulze und Bartels sowie in der Optischen Anstalt Rathenow, Gebrüdern Picht & Co., zum Einsatz.
In der Böhner Geschichtsschreibung findet man 1845 den Antrag zur Errichtung einer Dampfziegelei durch den Rathenower Kaufmann Eduard Borchmann auf dem Böhner Ludwigshof. Weiter heißt es dort, dass von 1848 bis 1849 das Unternehmen zu einem Dampfpressenbetrieb ausgebaut wurde. Noch heute steht der mit einem Storchennest geschmückte Schornstein als letztes Überbleibsel auf dem Gelände des einstigen Ziegeleibetriebes.
- Quellen:
- „Böhner Chronik“ aus den frühen 1990er Jahren
- "Sieg der Feuermaschine - Erfindung der modernen Dampfmaschine“ ZDF Doku Terra X
- „Die Geschichte der Emil Busch AG - Optische Industrie Rathenow“, Dr Karl Albrecht,
- „Vor 200 Jahren befuhr erstes Dampfschiff die Havel“, H.-J. Wodtke in BRAWO vom 9. April 2017
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 23. April 2017 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow