Grüße zum Advent
Der Rathenower Heimatbund e.V. wünscht seinen Unterstützern und seiner werten Kundschaft eine gesegnete Vorweihnachtszeit.
Kurztext: Infolge der technische Revolution des 19. Jahrhunderts entstanden Dampflokomobile für die Landwirtschaft. Sie erleichterten die schwere die Feldarbeit, halfen die Ernteerträge zu steigern und ersetzten fehlende Arbeitskräfte. Jedoch blieb der Einsatz der bedienungs- und pflegeintensiven Giganten wegen recht hoher Kosten nur auf große Güter beschränkt. Im Havelland kamen sie noch bis in die 1920er Jahre zum Einsatz.
Dampflokomobile – die einstigen Giganten in der Landwirtschaft
Auch im Havelland gerieten Felder und Höfe unter Dampf
von Hans-Jürgen Wodtke
Überall, dort wo die Lokomobile und die an einer Seilkonstruktion mit Umlenkrollen geführten Kipppflüge auftauchten, sorgten sie für Aufregung und Bewunderung in den Dörfern. Sammlung Wodtke
Technische Revolution in der Landwirtschaft
Ab der Mitte des 19.Jahrhunderts veränderte die technische Revolution die Produktionsverhältnisse im bis dahin noch dominierenden Handwerk und Gewerbe in Deutschland. Es entstanden leistungsfähige Fabriken, welche die benötigten Produkte preiswerter und in größeren Stückzahlen produzierten. Auch in der bis dahin traditionellen Landwirtschaft zogen neben neuen Anbaumethoden, künstlichen Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmitteln jetzt neuartige Maschinen und verbesserte Arbeitsgeräte ein. Damit wurde die zum Teil extrem zeit- und kraftraubende Arbeit auf dem Lande einfacher und konnte mit weniger Arbeitskräften bewältigt werden. Zudem verbesserten sich die Ernteerträge auf den nun mal begrenzt zur Verfügung stehenden Nutzflächen. Das war auch dringend notwendig, denn die Bevölkerungszahl wuchs besonders im westlichen Teil Europas in der Zeit vom Ende des 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhundert um etwa das Vierfache. Im Gegenzug verließen immer mehr Menschen ihre bisherigen Arbeitgeber auf dem Lande und suchten ihr neues Glück in der Stadt. Diese stetig weiter auseinandergehende Schere ließ sich nur durch mehr und vor allem mit besserer Landtechnik begegnen. Hier brachte die Einführung der Dampfmaschine einen gewaltigen Schub und führte zu fühlbaren Veränderungen auf dem Lande.
Otto Badke aus Kotzen neben einem Dampfpflugsystem bestehend aus Lokomobile und einem Kipp-Pflug mit mindestens vier Pflugscharen (vermutlich Mitte der 1920 Jahre). Ob es sich dabei um ein Ein- oder Zweimaschinensystem handelte ist nicht bekannt. Zu dieser Zeit waren aber nur noch sehr wenige Einsystemige Seilpfluglokomobile im Einsatz. Von 1904 bis 1924 stieg die durchschnittliche Leistung der Antriebslokomobile von 43 auf 91PS. Foto: Heinz Wernicke
Dampflokomobile im Havelland
Vor einiger Zeit erhielt ich ein Foto vom regionalgeschichtlich Interessierten Heinz Wernicke. Das Fotodokument zeigt eine Dampflokomobile mit Pflug auf den Feldern des einstigen Rittergutes Kotzen. Hier soll die Lokomobile als Antriebsaggregat zum Pflügen auf den hochherrschaftlichen Feldern noch weit bis in die 1920 Jahre zum Einsatz gekommen sein.
Das bemerkenswerte Zeitdokument erinnerte mich auch sogleich an meinen Großvater, der mir des Öfteren vom Einsatz von derartigen Dampfpflügen in seiner ostpreußischen Heimat erzählt hatte. Diese kolossalen Giganten hatten ihn als Kind damals stark beeindruckt. „Nur zu gern“, so erzählte er, „wollte er später selbst einmal mit so einer Dampflokomobile pflügen“. Aus dem Traum ist leider nie etwas geworden. Der 1. Weltkrieg und die schwierige wirtschaftliche Zeit danach wirkten sich ungünstig auf die weitere Verbreitung der dampfgetriebenen Pflüge aus. Denn neben dem hohen Anschaffungspreis sowie dem erheblichen Reparatur- und Pflegeaufwand von solchen Systemen, waren die Betriebskosten enorm. Je nach Typ verbrauchten die Lokomobile pro Tag 0,8 Tonnen Steinkohle und etwa sechs bis sieben Kubikmeter Wasser. So blieb der Verbreitungsgrad der Dampfpflüge in Deutschland eher auf Regionen mit großen Feldflächen beschränkt. Dass dennoch auch in Kotzen ein so kostspieliger Maschinensatz zum Einsatz kam, ist recht bemerkenswert.
Aufbau und Einsatz der Dampflokomobile
Nach den Recherchen von Heinz Wernicke wurde die Lokomobile vom 1906 in Kotzen geborenen Otto Badke gefahren. Des Weiteren gehörten noch Wilhelm Böhm und Hermann Wolke zur Besatzung des Dampffluges. In der Literatur spricht man sogar oft von bis zu 5 Besatzungsmitgliedern pro Maschinensystem. Fahrbare Dampfmaschinen, sogenannte Lokomobile, konnten über ein Getriebe ihr eigenes Fahrgestell in Bewegung setzen, sich somit im Gelände sowie auf der Straße langsam aber freizügig fortbewegen und dabei auch noch Lasten ziehen. Zudem waren sie mit einer Seiltrommel, zumeist unter, manchmal aber auch neben dem Dampfkessel ausgestattet. Derartige Lokomobile hatten ein Leergewicht um die 15 Tonnen und wurden mit einem Betriebsdruck von bis zu 21 atü gefahren. Dabei leistete die als Verbundmaschine konzipierte Dampfmaschine zwischen 12 bis 20 PS. In der Landwirtschaft wurden sie zudem auch zum Antrieb von Dresch-, Häcksel und anderen stationären Maschinen eingesetzt.
Der Entwicklungsweg des Dampfpfluges
Die ersten Versuche Lokomobile zur Feldbearbeitung zu nutzen, unternahm man in England, dem Mutterland der Dampfmaschine bereits 1832. In dem Buch „Ackergiganten“ von Klaus Herrmann wird dieses als Dampfpflug patentierte System wie folgt beschrieben.“ Die Konstruktion bestand aus einem Wagen mit niedriger Plattform, auf dem eine aufmontierte 2-Zylinder-Dampfmaschine das Fahrzeug selbst, sowie zwei Seilwinden antrieb. An die quer zur Fahrtrichtung arbeitenden Seilwinden konnte nun der Flug angehängt und zwischen der Maschine und den am Feldrand aufgestellten Ackerwinden hin und her gezogen werden. Nach jeder Furche fuhr der Maschinenwagen ein wenig vor, während die Ackerwinden von Hand versetzt wurden. Das PFlügen konnte nun weitergehen. Diese Maschine, 1833 fertig gestellt, wurde in den folgenden Jahren mehrfach im Gebiet von Lancashire eingesetzt. Beobachter berichteten, sie habe gute Arbeit geleistet.“ Doch die Freude über die technische Errungenschaft sollte nicht lange andauern. Bei einem Schaupflügen, wo ein Moor trocken gelegt werden sollte, leistete der Dampfpflug abermals grandiose Arbeit. Am darauffolgenden Tag sollten die Arbeiten weitergehen und deshalb ließ man den Dampfpflug am Feldrand zurück. Doch am nächsten Morgen trauten die Menschen ihren Augen nicht. Die große Maschine war nicht mehr aufzufinden. Die meisten glaubten an einen Diebstahl, doch deuteten keine Spuren auf einen Abtransport des Giganten hin. Offensichtlich war die Lokomobile in der Nacht infolge des hohen Maschinengewichts im Moor versunken. Trotz intensiver Suche ist nie wieder auch nur ein Teil von der Maschine aufgetaucht. Die Vorzeichen für den Bau dampfgetriebener Ackermaschinen standen damit erst einmal äußerst schlecht. So dauerte es einige Jahrzehnte bis erneut umtriebige Tüftler die Überlegungen und Erfahrungen von einst aufgriffen. Nun versuchte man auf zwei Wegen zum Ziel zu kommen. Die einen propagierten Lösungen, bei denen die Dampfmaschine den Acker selbst befahren und einen Pflug ziehen sollte. Die anderen setzten auf die Weiterentwicklung der Seilzuglösung. Letztere erschien technisch aufwendiger und in der täglichen Handhabung komplizierter. Doch hatte sie den Vorteil, dass bei der Bodenbearbeitung der Boden durch keine schwere Dampflokomobile zusätzlich verdichtet wurde. Zudem konnte die gesamte erzeugte Dampfkraft zum Zug des Fluges eingesetzt werden und musste nicht auch noch das Fahrzeug vorantreiben. So setzte sich schließlich um 1860 der Dampfpflug endgültig durch. Tests mit Pferden und Ochsen ergaben 1854, dass Dampfpflüge in der Lage waren die Leistung von bis zu 150 Pferden zu ersetzen. Um 1856 machte eine weitere Erfindung die Runde. Der Engländer John Fowler erfand den Kipp-Pflug, auch Balancierpflug genannt, der den Seilzugflug wesentlich einfacher und effizienter machte.
Ein Dampfsatz stehend aus einer Lokomobile mit Seilwinden, Ackerwagen und Kipp-Pflug war damals so teuer wie ein mittlerer landwirtschaftlicher Betrieb und konnte damit nur von großen Gütern oder privaten Dampfpflug-Unternehmen angeschafft und wirtschaftlich eingesetzt werden. Dennoch setzte man bald auf einen, wenn auch noch teureren, Dampfflugbetrieb mit zwei Lokomobilen an Stelle einer komplizierten Seilführung mit Umlenkwinden und erreichte damit eine mehr als doppelte Pflugleistung.
Die deutsche Dampflokomobile-Ära und andere Entwicklungen
Die deutsche Ära Dampfpfluggeschäft begann ab 1861 mit dem Schwaben Max Eyth. Bereits ein Jahr später gründete Rudolf Ernst Wolf in Buckau bei Magdeburg seine „Maschinenfabrik R. Wolf“ und begann dort als einer der ersten in Deutschland im großen Stil Lokomobile zu bauen. Als Experte im Dampfpfluggeschäft zählte damals jedoch A. Heucke in Gatersleben bei Magdeburg. Dort beschäftigte man sich ab 1885 ausschließlich mit dem Bau landwirtschaftlicher Großmaschinen. Heucke-Maschinen wurden schnell in der ganzen Welt bekannt und kamen weltweit zum Einsatz. Selbst in den Waffenstillstandsfestlegungen von 1919 legten die Alliierten fest, dass von 81 zu liefernden Dampfpflugsätzen 56 von Heucke zu stammen hatten. Auch nach dem 2. Weltkrieg mussten zahlreiche Lokomobile und Dampfpflugsätze als Reparationsleistungen in die Sowjetunion geliefert werden.
In dem Buch „Ackergiganten“ von Klaus Herrmann heißt es weiter:“ den deutschen Dampflokomobile-Herstellern ist gemeinsam, dass sie erst spät in das Geschäft eingestiegen, dann aber binnen kurzem technische Spitzenerzeugnisse an den Markt brachten. Dies trifft neben den Firmen Rudolf Wolf (Magdeburg), Heucke (Gatersleben), Komnick (Elbing), Dehne (Halberstadt), Rheinmetall (Düsseldorf), Borsig (Berlin) und Heilbronner Maschinenbau zu.“
Die Entwicklung vom Dampf zum Strom
Mit der zunehmenden Elektrifizierung versuchte man die Vorteile des Dampfpfluges mit Elektromotoren zu kombinieren und so der aufwendigen und energieintensiven Dampferzeugung etwas entgegenzusetzen. Diese Bemühungen führten aber erst in der Zeit um den 2. Weltkrieg und danach, als es gelang mit vertretbarem Aufwand die Elektroenergie sicher bis zu den Antriebsaggregaten zu führen, zu Erfolgen, Zeitzeugen berichten von derartigen Bemühungen noch bis in die späten 1960er Jahren im Gebiet zwischen Genthin und Burg.
- Quellen: "Ackergiganten" von Klaus Herrmann, Bechtermünz Verlag, 1998
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 18. Febr. 2018 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow