Kurztext: Am 29. Oktober 1923 begann mit der „Funk-Stunde Berlin“ offiziell der Rundfunk in Deutschland. Vom exklusiven Medium für wenige entwickelte sich das Radio bald zu einem prägenden Massenmedium. Technischer Fortschritt, politische Instrumentalisierung und persönliche Hörerlebnisse zeigen, warum das Radio bis heute neben Information und Unterhaltung auch immer wieder Emotion verbindet.
100 Jahre deutsche Rundfunkgeschichte
Vom Angebot für Betuchte zum heutigen Massenmedium
von Hans-Jürgen Wodtke
Grafik zur 100-jährigen Entwicklungsgeschichte des Radios in Deutschland. Grafik wurde mit KI-Unterstützung generiert (Dez. 2025)
Offizielle Start des Rundfunks in Deutschland
Der 29. Oktober 1923 gilt heute als der Tag, ab dem der Rundfunkbetrieb in Deutschland staatlich offiziell genehmigt und befürwortet wurde. An diesem denkwürdigen Oktobertag wurde die „Funk-Stunde Berlin“, ein einstündiges Rundfunkprogramm, aus der Dachkammer des VOX-Hauses in Berlin gesendet und damit der Sendebetrieb in Deutschland formell aufgenommen. Ein damit bedeutungsvoller Start ins Zeitalter des Rundfunks , an welchem aber faktisch kaum jemand, weil es zu der Zeit nur wenige geeignete Empfangsgeräte gab, teilhaben konnte. Dennoch galt Deutschland mit dem Einstieg in die Welt des Rundfunks nach den USA und Großbritannien als das dritte Land auf der Welt, in dem ein drahtloser Empfang von Tönen über den Äther ermöglicht und gesetzlich erlaubt wurde. Recht bald startete das neue Medium seinen Siegeslauf rund um den gesamten Globus und gehört heute immer noch zur weltweit meistgenutzten Quelle für vielfältige individuelle Unterhaltungs- und Informationsvermittlung. So hören heute immer noch, trotz zahlreicher anderer adäquater funk- und drahtgebundener Angebote, 56% der Hörerschar „klassisches“ Radio über UKW. Umso erstaunlicher die aktuelle Ankündigung des RBB, dass die Möglichkeit diskutiert wird, zukünftig das bewährte und beliebte Rundfunkangebot nur noch über das Internet anbieten zu wollen.
Von der drahtlosen Funktechnik zur ersten Rundfunksendung
Die drahtlose Funkübertragung begann, wenn auch nicht als Rundfunk, in Deutschland bereits im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Damals entschloss man sich im deutschen Reich zum Aufbau eines weltweiten Funkverkehrs. Dazu wurde, die heute noch teilweise vorhandene, Großfunkstelle in Nauen errichtet. Diese Baumaßnahme gilt für damalige Zeit als eine abenteuerliche wie großartige technische Pionierleistung. Der neu geschaffene Funkdienst stellte fortan drahtlose Kommunikationsmöglichkeiten zu den deutschen Kolonien in Afrika und Übersee und den vorher nur schwer erreichbaren Schiffen auf den Weltmeeren her. Dabei erfuhr dieser Seefunkverkehr nach dem Untergang des britischen Passagierdampfers Titanic noch einen besonderen Auftrieb.
In der unmittelbaren Zeit nach dem 1. Weltkrieg ging man dann an den Aufbau des Rundfunks in Deutschland. Über den neu geschaffenen Sender in Königs Wusterhausen wurde am 22. Dezember 1920, noch ohne Regierungserlaubnis und damit illegal ein Weihnachtskonzert zu Testzwecken ausgestrahlt. Zu diesem Zeitpunkt war in der Weimarer Republik noch öffentliches Senden und selbst auch privates Hören von Rundfunksendungen bei Strafe verboten. Dennoch gilt dieser Tag kurz vor Weihnachten, wenn auch illegal, als die eigentliche Geburtsstunde des deutschen Rundfunks in Deutschland.
Rundfunk wird zum Massenmedium und Propagandainstrument
Doch offiziell und staatlich erlaubt startete der „Vergnügungs-Rundfunk, wie es damals hieß, erst fast drei Jahre später. Zunächst wurde nur ein einstündiges Programm mit der Ankündigung „ Achtung, Achtung hier ist Berlin auf Welle 400 Meter, ausgestrahlt über den Kurzwellensender Königs Wusterhausen“ gesendet. Jedoch fiel der zweifelsohne geglückte offizielle Rundfunkstart in die turbulente Zeit der Inflation in Deutschland. Bekannt ist, dass einer der ersten Rundfunkhörer für die damals notwendige Genehmigung zum Radiohören 350 Milliarden Mark bezahlte. Ende der 1920er Jahre wurden bereits 14 Stunden Sendezeit angeboten. Mit dem erweiterten Angebot wuchs auch stetig die Zahl der zahlenden Radiohörer. Selbst die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise konnten nicht verhindern, dass bereits 1932 vier Millionen zahlende Rundfunkteilnehmer im Reich registriert waren.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wandelten diese den bis dato unabhängigen Rundfunk schnell zu ihrem wichtigsten Propagandainstrument für die landesweite Popularisierung ihrer Politik um. Zur noch besseren Verbreitung der nationalsozialistischen Ideologie lancierten sie bereits im August 1933 die Produktion des preiswerten „Volksempfängers 301“ in zuvor noch nie erreichter Stückzahl.
Rundfunk im Kalten Krieg und neue technische Entwicklungen
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges bemächtigten sich anfangs die Alliierten der noch intakten Sendestationen bzw. ließen diese für ihre Informations- und Propagandapolitik wieder herrichten und ausbauen, bevor die Rundfunkstationen an die Regierungen in der Ost- und Westzone weitergereicht wurden. Besonders die Westalliierten sorgten mit Beginn des Kalten Krieges für neue Radiosender in Deutschland. Dazu gehörten der britische BFBS, der amerikanische AFN, der französische FFB und der deutschsprachige RIAS. Letzterer hatte seinen Sitz im amerikanischen Teil Westberlins und Sendestationen an der bayrisch-thüringischen Grenze und war vorrangig zur politisch-ideologischen Beschallung von Ostdeutschland gedacht, was die ostdeutsche Seite zum Aufbau eines umfangreichen und damit kostenintensiven Netzes von Störsendern veranlasste, die erfolgreich den Mittelwellenempfang im Osten Deutschlands über Jahrzehnte verhinderte. Ab der Mitte der 1950er Jahre machte es die DDR dem Westen gleich und schuf zur gezielten politischen Einflussnahme auf die westdeutsche Zivilgesellschaft den Freiheitssender 904 und zur Beeinflussung der Bundeswehrsoldaten den Deutschen Soldatensender. Gesendet wurden die Radioprogramme wechselweise über einen Mittelwellensender in Burg bei Magdeburg.
Mit der Zunahme internationaler aber besonders deutscher Rundfunksender wie auch der Einführung des nahezu störungsfreien UKW-Empfangs, wuchs auch das Interesse bei den Hörern an immer besseren Rundfunkempfängern. Radiohören lag damit voll im Trend und so war es nur verständlich, dass auch der Wunsch dies auch außerhalb der Wohnung und damit netzunabhängig tun zu wollen, wuchs stetig.
Darauf reagierend brachte Anfang der 1950er Jahre der VEB Stern Radio Berlin mit dem „6 D71“ das erste netzunabhängige, röhrenbestückte Kofferradio auf den ostdeutschen Markt. Weitere Produkte mit Röhrenbestückung folgten, bis dann 1959 der erste volltransistorisierte mobile Empfänger auf dem DDR-Markt auftauchte. Das handliche „Sternchen“ fand, trotz seines damals stolzen Verkaufspreises von 195,00 Mark, schnell bei der DDR-Jugend seine Interessenten. „Eigentlich war das kleine Radiowunder für diese Zeit ein bemerkenswertes Gerät“ erinnert sich noch heute der zu der Zeit Rundfunk- und Fernsehtechniker lernende Rathenower Rainer Düskau, „nur das spröde Kunststoffgehäuse war recht bruchanfällig und verursachte eine relativ hohe Reparaturquote des ansonsten gut konzipierten Gerätes.“ Das „Sternchen“ der frühen 1960er Jahre wurde damit rückblickend zum Wegbereiter für ein neues, besonders von der DDR-Jugend begeistert aufgenommenes Radiogefühl in dem inzwischen abgeschotteten Land. Boten doch die Mobilgeräte trotz Mauern, Stacheldraht und Repressalien praktisch nahezu an jedem Ort im Lande unzensierte Informationen und Musik aus dem Westen.
Persönliche Erinnerungen und lebenslange Radiobegeisterung
Meine ersten Erinnerungen an Radio hören gehen in das Jahr 1957 zurück. Am 4. Oktober des Jahres startete die Sowjetunion ihren ersten künstlichen Erdtrabanten Sputnik 1. Die dann über einen kleinen Sender aus dem All versendeten Pip-Töne, an die ich mich noch gut erinnere, wurden von den Radiotechnikern radiotauglich gemacht und über die DDR-Radiosender abgestrahlt und der Erstflug in Kommentaren als große Errungenschaft und Überlegenheit der sowjetischen Forschung popularisiert. Einige Jahre später war es dann die, die Welt überrollende Beatmusik, die mich zum aktiven Radiohörer werden ließ und immer wieder zu Differenzen mit den Altvorderen führte. So träumte ich von einem eigenen Radio. In einem Anfang der 1960er Jahre angebotenen „Pionierkalender“ fand ich eine Bauanleitung für einen „Detektorempfänger“, einem einfachen Radio aus den Zeiten der Pionierzeit des Rundfunks. Mit dem erfolgreichen Nachbau des Bauvorschlages kam ich nicht nur zu meinem ersten eigenen Radioempfänger, sondern stieg nach und nach tiefer in die Geheimnisse der Elektronik und Elektrotechnik ein. Die Folge waren bessere Eigenbaugeräte zum noch ungestörteren Empfang der geliebten Beat- und Rockmusik. Meine Bastelleidenschaft, angetrieben durch die Liebe zur Popmusik, führten mich etwas später zur richtigen Berufswahl, mit Hilfe der BBC London habe ich meine Frau kennengelernt und bin ab 1974 zum Schallplattenunterhalter, die einstigen DJs in der DDR, geworden.
Und wie heißt es doch so schön: „Radio war meine erste Liebe und die vergisst man ja bekanntlich nicht.“
Quellen:
• „Radiowellen ließen sich von keiner noch so hoher Mauer stoppen“, H.-J. Wodtke; BRAWO
20.09.2017
• „Volksempfänger im August 1933 wohl 1000.000 Geräte verkauft“, H.-J. Wodtke; BRAWO
06.09.2023
• „Der Deutsche Soldatensender-Kultsender für eine ganze Generation“, H.-J. Wodtke; BRAWO
10.09.2017
• „Aus dem Leben eines alten Radioempfängers“, Hans-Jürgen Wodtke; BRAWO 11.12.2016
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 28. Okt. 2023 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow